LOOCK: Wohnmaschine Archive

Takehito Koganezawa - Dancing in Your Head




Takehito Koganezawa, Ausstellungsansicht Wohnmaschine, 2003



27. Feb. - 19. April 2003

 

Zur Ausstellung erscheint das Buch Takehito Koganezawa DRAWING

176 Seiten, 140 Abbildungen, mit Texten von Hans-Ulrich Obrist, Ralf Christofori und Maïté Vissault

zum Preis von 32,- EUR + Versandkosten.

 

Wenn Takehito Koganezawa (* 1974) Zeit erklärt, zeichnet er einen Strich. Anstatt aber auf die Länge des Striches als Maßeinheit zu verweisen, deutet Koganezwa auf die winzigen Punkte, die den Strich erst ausmachen. Es sind diese Punkte, die für Koganezawa das Verhältnis eines abgebildeten Objekts zu Zeit und Raum definieren, und es sind solche mikroskopischen Details, die er als assoziative Ausgangspunkte für seine Motive verwendet.

 

Wie in seinen Insektenzeichnungen aus dem letzten Jahr, bilden auch die nun in der Wohnmaschine gezeigten neuen Buntstiftzeichnungen den mikroskopischen, also auf Detailbeobachtungen beruhenden Blick ab, durch den ein ganz eigenes Koordinatensystem räumlicher und zeitlicher Assoziationen entstanden ist. Die oft zwei, niemals mehr als drei Motive, die Koganezawa dabei auch farblich in Verbindung setzt, sprechen vor allem von einer ganz subjektiven Wahrnehmung von Zeit und Raum: Als „Protokoll“ einer Krankheit, die Koganezawa in den ersten Wochen des Jahres ans Bett fesselte, zeugen sie von Schmerzen wie von Genesung gleichermaßen – und so auch von Zuständen, in welchen alternative Modelle von räumlicher und zeitlicher Wahrnehmung erfahrbar werden.

 

Wie häufig in den Zeichnungen, stehen auch in Koganezawas neuer Videoarbeit DANCING IN YOUR HEAD Neudefinitionen von Objekten direkter Umgebung im Vordergrund: Auf 3 Monitoren laufen, voneinander unabhängig, jeweils unterschiedlich lange audiovisuelle Tracks ab, auf welchen Koganezawa, in bestimmten Abständen, sekundenlange Samples geloopt hat. Da die einzelnen Samples zudem auf jedem Track verschiedene Längen vorweisen, ergibt sich ein bewusst gewählter Spagat zwischen Kontrolle und Unkontrollierbarkeit: Die DVD-Player sind auf Repeat-Modus eingestellt, so dass sich eine tendenziell unendliche Variation in der Überlagerung der drei Spuren, eine automatische Komposition, ergibt.

 

Besonders wichtig ist es dabei für Koganezawa, dass es sich bei den von ihm abgefilmten und zum klingenden Einsatz gebrachten Gegenständen um Objekte des Alltags handelt: eine Schere, eine Spiralfeder oder eine Tröte etwa werden von ihm so in ihren klanglichen Eigenheiten hervorgehoben, dass durch die Wiederholung der Sequenz eine Neujustierung in der Wahrnehmung von klanglichem und visuellem Charakter möglich wird – hört man tatsächlich eine Schere, oder ist es ein digitales Hi-Hat-Sample? Mit dieser Verwendung bestimmter Materialien einerseits, der „Unkontrollierbarkeit“ ihres Aufeinanderwirkens andererseits, knüpft Koganezawa bewusst an musikalische Improvisationskonzepte an, wie sie seit den 1970er Jahren etwa von der Freejazz-Gruppe AMM oder dem Gitarristen Derek Bailey praktiziert wurden.

 

Koganezawa bezeichnet die bei DANCING IN YOUR HEAD entstehende Musik so zwar als von ihm präparierte, aber nicht als „eigene“ Musik. Ebenso wäre für ihn eine Unterscheidung in „wohlklingende“ und „rauschende“ Momente dieser Zufallskombination eine unbrauchbare Gegenüberstellung. Beide dieser Überlegungen beruhen auch auf Koganezawas Faszination für die Techniken der DJ-Kultur, die er sich aneignete, seit er vor zwei Jahren mit einem Stipendium der japanischen Regierung von Tokyo nach Berlin kam. „Das Schwimmen im Strom der Zeit zu designen“ - kaum etwas dürfte Koganezawas Arbeitsweise treffender wiedergeben als diese Aussage des Künstlers.

 

Martin Conrads