LOOCK: Wohnmaschine Archive

Florian Merkel - Kausaler Aufbruch




Florian Merkel, Ausstellungsansicht Wohnmaschine, 2004



19. März - 24. April 2004

 

Zur Alltäglichkeit des Traumes von Raimar Stange

 

Überlegungen zu Florian Merkels Arbeit „Kausaler Aufbruch“, 2004

 

1. Weltlich?

 

Seltsam: Wie ein Zwitter aus sozialistischem Realismus und kunterbunter Kinderfibel, von ikonenhafter Zeichnung und einer Postpop-Malerei Marke Lisa Ruyter z. B. mutet das ästhetische Geschehen auf Florian Merkels neuer Bilderfolge „Kausaler Aufbruch“, 2004, auf dem ersten Blick an. Da liegt also die Frage nach der Konstruktion, nach der, wenn man so will, handwerklichem Genese dieser Arbeit nahe: Zuerst hat der in der ehemaligen DDR aufgewachsene Künstler Menschen (in alltäglichen Posen) photographiert und diese Photos dann in seinen Computer eingegeben. Anschließend hat er die linearen Konturen der Figuren mit Hilfe eines Illustrator-Programmes nachgezeichnet und dann diese Flächen farbig angelegt. Nun werden vom Künstler am Rechner verschiedene Figuren zu erzählerischen Konstellation zusammenmontiert, schließlich abstrakte Farbflächen als raum- und atmosphärestiftender Hintergrund hinzugefügt. Das Ergebnis, als farbenkräftige Cibachrome gezeigt: holzschnittähnliche Tableaus auf denen so scheinbar naiv wie banal idealisierend kleine, sich entwickelnde Geschichten erzählt werden. Geschichten, in denen kaum jemals ein „vernünftiger“ Zusammenhang erkennbar wird, in denen „realistische“ Größenordnungen, wie etwa in Jonathan Swifts „Gullivers Reisen“, beständig ignoriert werden, Geschichten letztlich, die aus einer seltsamen Zwischenwelt aus Traum, Kunst und „wirklichem Leben“ zu entstammen scheinen.

Da ist

 

z. B. das erste Bild der zwölfteiligen Sequenz: eine Frau macht Kniebeugen, eine andere tritt mit einem Bein eine abstrakte Farbfläche, die zu dünn ist, um tatsächlich eine Wand sein zu können. Eine dritte Frau hält selbstbewußt den Daumen nach oben, sie steht in einem „Fenster“ einer weiteren monochromen Farbfläche. Eine sich bückende und eine eine Axt tragende weibliche Figur sind zudem in der rechten Bildhälfte präsentiert. Weiterhin zu sehen: Ein Mann hält in der linken Bildhälfte zwei Bretter übereinander, ein anderer steht in einer merkwürdig militärisch anmutender Kluft im Hintergrund. Durch dieses absurde soziale Umfeld nun läuft eine Frau, die Hände auf dem Rücken verschränkt, neugierig nach links schauend. Wie gesagt: Diese Bilder sind nicht (nur) von dieser Welt.

 

2. Traumhaft?

 

Zu einer „Außenwelt der Innenwelt“, frei nach Peter Handke, dreht Florian Merkel in „Kausaler Aufbruch“ seine zunächst als „realistisch“ erscheinenden Sujets so leichthändig wie subtil. Diese ästhetische Wendung, in der Realismus sich als Surrealismus und vice versa verdient, gelingt ihm nicht nur durch seine Erzählweise, sondern auch durch die von ihm betriebene Durchdringung so verschiedener Medien und Stile wie die einstmals Objektivität verbürgende Photographie, der künstlerische Strich der Zeichnung, die Bildbearbeitung des Computers und die Abstraktion garantierenden Flächen monochromer Farbigkeiten. Nichts bleibt hier mehr von der

dokumentarischen Authentizität, die Roland Barthes noch in seiner Theorie des „punctum“ der Photographie zusprach (1), vergeblich aber sucht man hier auch die viel gepriesene Freiheit und Expressivität der kreativen Handarbeit eines Künstlers. Auf beiden Polen möglicher Repräsentation ent/täuscht Florian Merkel absichtsvoll – und vermag eben durch diese „formalistische Versachlichung“ ein Moment in seine künstlerische Arbeit einzubringen, die von Jacques Lacan diskutiert, wohl erstmals umfassend aber von Gilles Deleuze/ Félix Guattari beschrieben und analysiert worden ist: nämlich den Moment der begehrenden Arbeit der von Deleuze/Guattari sogenannten „Wunschmaschinen“, die jenseits (freudscher) ödipaler Zuschreibungen unser Unbewusstes stets strukturieren (2).

 

3. „Dream on“ (Aerosmith)

 

„So logisch wie ein Traum“ (Florian Merkel) entwickelt sich dann auch der erzählerische Faden von „Kausaler Aufbruch“. Dieser sei zum Abschluss meiner Überlegungen, anschließend an die oben vorgestellte Narration des ersten Bildes, kurz angedeutet: Im zweiten und dritten Bild läuft die Frau mit den ehemals auf dem Rücken verschränkten Händen durch eine Parallelwelt des ersten Enviroments und dann herrschen paradiesische Zustände, sind doch die Menschen fast alle unbekleidet. Im Zentrum dieser Welt ist eine große blasse Frau, die sich dann in eine der nächsten Einstellungen in eine neues Paralleluniversum begibt, in der sie unter anderem eine Frau von einer sprichwörtlichen Last befreit. Die psychedelische Tour de Force wird fortgesetzt und dann steht u.a. körperliche Arbeit im Mittelpunkt der bildhaften Szenerien. In diesen traumlogisch verknüpften Bildern findet sich immer wieder ein Mann, der mit einem orangenen Ball spielt – leitmotivisch gibt dieser Homo Ludens den Rahmen für die beschriebene Abfolge von Welt auf Welt ab. Eine Abfolge, die dem Prinzip der „Kopplung“ folgt, also genau dem additiven Andocken, das auch für die Struktur der Wunschmaschinen typisch ist und sich in einer „linearen“ Richtung bewegt: „Die Wunschmaschinen bilden binäre .... Maschinen. Stets ist eine Maschine einer anderen angekoppelt. Die produktive Synthese .... besitzt die konnektive Form und dann“, beschreiben dann auch Deleuze/Guattari (3) dieses additive Hintereinander.

 

1 lese: Roland Barthes, Die helle Kammer, Frankfurt aM 1989.

2 in: Deleuze/Guattari, Anti-Ödipus, Frankfurt aM 1977.

3 alle drei Zitate: ebenda, S. 11.