LOOCK: Wohnmaschine Archive

Ralf Christophori - BLENDING OPPOSITES


 

I was actually taught opposites in school ... The teacher said that black was the opposite of white, sweet was the opposite of sour and that up was the opposite of down. I began to make my own list of opposites: the number one must be the opposite of the number ten, ice was the opposite of water and birds were the opposite of snakes. But soon I had real problems, because if snakes and birds were opposites, where could I put the flying rattlesnake that we saw every night in the sky as the rattlesnake star? I theorized that in certain circumstances things could act like their opposites. If grey is the blending of the opposites black and white then the flying rattlesnake could be seen as a grey bird.

 

Jimmie Durham

 

 

Vogel oder Schlange? Oben oder unten? Rot oder Gelb? - Es ist eine unförmige anthropomorphe Figur, die seit einiger Zeit immer wieder in Holly Zausners Arbeit auftaucht. Sie besteht aus einem vergleichsweise kleinen, weiblichen Korpus, der in kaum enden wollende Extremitäten mündet, sie gehen ineinander über, Arme werden Beine, lassen sich am Ende kaum auseinander dividieren. Dies umso mehr, wenn die Figur am Fußboden zu liegen kommt oder auf Fotografien in der Luft fliegend eingefangen wird.

Es ist keine formlose Form, wohl aber eine endlose - will sagen: niemals endgültige. Ebenso wenig, wie von dieser Figur eine eindeutige Form zu erwarten ist, läßt sich die vage sexuelle Anspielung der Frauengestalt - ob verschlungen liegend, lasziv stolzierend oder engelsgleich fliegend - eindeutig festlegen. In krachenden Farben erstickt diese Gestalt jede Anwandlung festgefahrener Zuschreibungen, sie ist nur zu fassen als fließender Übergang, als ein emergenter Zustand zwischen mindestens zwei anderen, angesiedelt irgendwo zwischen schwarz und weiß, zwischen Klapperschlange und Vogel.

Holly Zausner wuchtet die knochenlose Figur in die Höhe, um sie in einem bewegten, fotografischen Augenblick einzufrieren. In einer Serie von C-Prints dokumentiert die Künstlerin diesen Akt des Werdens, immer und immer wieder kämpft sie gegen die Gesetze der Schwerkraft an, um die Skulptur über den Dächern von Chelsea für den Bruchteil einer Sekunde festzuhalten. Es ist die fotografische Dokumentation jenes emergenten Zustands, von dem bereits die Rede war. Gleichzeitig halten die Fotografien diese Form nicht einfach nur fest, sie verkörpern selbst einen Zustand zweiter Ordnung.

Die C-Prints zeigen&Mac226;G-Woman’ als eine monumentale Skulptur im öffentlichen Raum, ihre Form verschwimmt und mit ihr der Maßstab: Die rote Dame erstarrt in der vertikalen Bewegung - manchmal eingezwängt zwischen den Wolkenkratzern von Uptown Manhattan, ein anderes Mal gefährlich nah am Abgrund, dann wieder schwerelos über dem Flughafen Newark gen Westen. Hie und da bringt es die Künstlerin tatsächlich fertig, im ach so prüden New York eine riesige&Mac226;reclining nude’ über der 19. Straße schweben zu lassen.

Eine solche Beschreibung aber geht fast schon wieder zu weit, wo sie Bedeutung eindeutig festzulegen sucht. Denn Holly Zausner rückt die Skulptur in den Stand eines niemals statisch abgeschlossenen Objektes. Ja, möglicherweise ist&Mac226;G-Woman’ ein Subjekt, das von einem Subjekt bewegt und gewissermaßen motiviert wird. Die daraus resultierenden emergenten Zustände verdanken sich der Materialisation eines Konzepts, das auf fixierte Deutungen und manichäistische Dualismen verzichtet, statische Plastik in Bewegung versetzt, Skulpturen zum Fliegen bringt.

Im Zuge dieses Verschmelzens vermeintlicher Gegensatzpaare wirken zwei Aspekte, die den künstlerischen Prozess maßgeblich beeinflussen. Das Performative operiert darin sowohl vor, als auch hinter dem sichtbaren Zustand: es ist das Spiel zweier Performerinnen. Ein ähnlicher Zusammenhang wird erkennbar hinter dem Medialen: hier ist es das Spiel zweier Medien. Die beiden Aspekte des Performativen und Medialen verschmelzen ihrerseits, kreuzen einander, und für einen kurzen oder längeren (niemals jedoch endgültigen) Moment wird die potentielle Form zur Form.

Ist es bei den C-Prints die Kamera, welche die Figur im Flug einfängt, so vollzieht sich bei Zausners jüngsten Skulpturen der Akt des Werdens an Ort und Stelle. Die am Fußboden des Galerieraums ausgebreiteten Skulpturen bilden kein festes, ausgeklügeltes Arrangement, sie verdanken Form und Dasein einem ganz realen - wenn auch nur mäßig heideggerschen -&Mac226;Geworfensein’, das die Figuren immer wieder verändert und neu werden läßt. Auch hier beschreibt die skulpturale Form nur einen Zustand, allein, sie überdauert diesmal den fotografischen Augenblick. Dabei ist es nicht unbedingt die zeitliche Dimension, innerhalb derer die jeweilige Potentialiät des Zustandes - ob künftig oder bereits vergangen - verhandelt wird; vielmehr sind es die Möglichkeiten des Zustandes selbst, die darin aufscheinen.

Letztlich spielt Holly Zausner das Spiel zweier Kontingenzen, des Performativen wie Medialen, und sie beruft sich damit auf die Grundlagen einer per se unabgeschlossenen künstlerischen Arbeit, wie sie rückblickend insbesondere der Performance-Szene im New York der sechziger und siebziger Jahre gutgeschrieben werden. Vor allem die repetitive Gestik der Alltagsbewegung, der Umgang mit Requisiten, die besondere Aufmerksamkeit gegenüber dem Konzept - und dem Akt des Werdens, nicht zuletzt das Verschleifen des Performativen mit dem Medialen spielen dabei eine zentrale Rolle. Mehr noch entwickeln diese Momente ein Sensorium dafür, scheinbar kontingente Zustände erst sichtbar und bedeutsam werden zu lassen. Und diese Strategie ist alles andere als defizitär, im Gegenteil: sie eröffnet ungeahnte Möglichkeiten. Sabine Russ schreibt in einem Text über die Arbeiten von Holly Zausner, in ihnen pulsiere der Optimismus jenes amerikanischen "Alles ist möglich" - und man möchte hinzufügen: "Wenn alles möglich ist, könnte alles auch anders sein."

Holly Zausners Arbeiten erzählen von der Materialisation dieser Kontingenz. Indes, sie kapituliert nicht vor der Erkenntnis, dass alles immer auch anders sein könnte, sondern begreift - ganz optimistisch - jede Möglichkeit als einen Zustand zwischen mindestens zwei anderen. Unter dieser Prämisse geschieht in Holly Zausners Arbeiten materialiter, was Jimmie Durham nur theoretisiert hatte: daß die Dinge wie ihr Gegenteil agieren, Oppositionen verschmelzen - und Skulpturen tatsächlich fliegen lernen.

 

Ralf Christophori, G-WOMAN Katalog, Wohnmaschine, 2001