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Knut Ebeling - GLÜCKLICHER VERLAUF, UNGLÜCKLICHER VERLAUF / GUTE ZEITEN, SCHLECHTE ZEITEN


 

Die Arbeiten von Takehito Koganezawa beschäftigen sich mit Zeit – was bereits eine Unmenge an kulturellen Assoziationen und philosophischen Problemen auf den Plan ruft –; mit Zeit jedoch, die in unterschiedlichen Konstellationen medial umgesetzt wird, wobei es der Status des jeweiligen Mediums ist, der den Umgang mitder Zeit definiert und umgekehrt. An diesen Umsetzungen – in den meisten Fällen hat man es bei Koganezawamit Videos zu tun, die eine räumliche Situation in eine Fläche übersetzen – interessiert wesentlich der Übertragvon 3D in 2D, vom dreidimensionalen Raum ins zweidimensionale Bild des Bildschirms oder Monitors.Diese Übertragung interessiert deshalb, weil die Arbeit Koganezawas die bisherigen Lesarten der malerischen Moderne zu ergänzen scheint: Während die Theorie der modernen Malerei die Bewegung des Bildraumes zur monochromen Fläche explizit ohne das Moment der Zeit konzeptionalisiert hat, weist die Arbeit Koganezawasauf diesen blinden Fleck dieser Theorie der Enträumlichung hin: Der Verlust der Tiefe, die Verflachung des Bildesist auch immer ein zeitliches Ereignis – ein Prozeß, auf dessen Ereignishaftigkeit Koganezawa in der Form von Videos aufmerksam macht. Man hat es bei der Arbeit von Takehito Koganezawa mit diachronen Bildwerdungenzu tun, die über das Medium der Zeit synchronisiert werden.Die Diachronizität der Verflachung des Bildes wird durch unterschiedliche Chronologien demonstriert, die Koganezawa in einem Bild – oder besser noch: in einem Raum, der im Verlauf eines Videos zum Bild wird – zusammenfügt. Das ist das Prinzip von verschiedenen Arbeiten Koganezawas: Indem er eine aktuelle, diskontinuierliche Zeit vor einer inaktuellen aber kontinuierlichen Zeit ablaufen läßt, markiert er unterschiedliche Komponenten der Bildwerdung. Die verschiedenen Zeiten laufen gegen- oder miteinander und zeitigen das Ergebnis eines monochromen Bildes, das seine unterschiedlichen Momente Raum und Zeit ineinander vollkommen vereinigt – wobei es bezeichnend ist, daß der Preis dieser Vereinigung und Vollkommenheit die vollkommene Dunkelheit ist.In diesen Arbeiten Koganezawas wird das Thema der Materialität der Malerei – die Sichtbarkeit der Farbe alsSchliere oder Flüssigkeit – auf das Medium der Zeit bezogen und in der Form des Videos in seiner Zeitlichkeit konserviert: Die Videoarbeiten Koganezawas lassen den Betrachter den Moment erleben, in dem die Zeit zum Medium wird. Die Zeit ist das Medium – und nicht etwa das Video, das nur die Zeit erscheinen, sie ablaufen läßtund sie dokumentiert – in dem die Flüssigkeit auf die Fläche tropft, sie ist das Medium, in dem die Farbe langsam aber sicher wie ein Lebewesen eine Wand hinunterläuft. Die Zeit ist das Medium, das Einblick gewährt in die Viskosität, die Geschmeidigkeit des Materials der Malerei, in das Innere der Farbe, wo es kein Innen und kein Außen mehr gibt.Wie bei Lacan ist es bei Koganezawa die Zeit, die jede Unterscheidung von Innen und Außen zerstört und jede Innerlichkeit als bloße Erscheinung enttarnt. Damit wendet sich Koganezawa genau dem Moment der Malerei zu,in dem Innen und Außen, Raum und Zeit noch ungetrennt sind. Er macht die Zeitlichkeit der Farbe als ihrenVerlauf sichtbar.Der Begriff des Verlaufes ermöglicht eine Anbindung von Koganezawas Videoarbeiten über Malerei an einen anderen Werkkomplex. Dieser Werkkomplex beschäftigt sich mit dem Medium der Zeit nicht vermittelt über Malerei, sondern über Situationen; diese Arbeiten lassen die Zeit dadurch zum Medium werden, daß sie sie in der Form von Situationen vorführen. Was ist eine Situation? Auf den ersten Blick handelt es sich bei einer Situationum den Ablauf einer bestimmten Handlung in einem konkreten Zeitrahmen, um den Verlauf eines unver-wechselbaren Geschehens in einer unveränderlichen Zeit: Es ist die Zeit, die eine Handlung zur Situation werden läßt. Ein genauerer Blick auf bestimmte Situationen zeigt jedoch, daß es sich auch hier um das Zusammentreffen von verschiedenen diachronen Zeitsträngen handelt: Eine Situation wird erst zur Situation, wenn eine Zeit aufeine andere trifft, wenn beispielsweise nicht nur eine Person an einem Ort ist, sondern zufällig auch eine andere, wenn nicht nur ein Arm sich von einem Ort zum anderen bewegt, sondern wenn er dabei zufällig auf eine Vase trifft, die sich ebenfalls am Ort dieser Bewegung befindet. Unglücklicher Verlauf.[Schlechte Zeit]Es gibt auch Situationen, die sich dadurch auszeichnen, daß jeder sich in demselben synchronenZeitrahmen befindet – zum Beispiel ein Fußballspiel. Eine solche Situation konstruiert – und persifliert – Koganezawa dadurch, daß er einer konkreten Handlung einen genauen Zeitrahmen gibt: Verschiedene,jeweils mit zwei Spulen ausgerüstete Paare sind aufgefordert, ein Band auf ihren Spulen ab- und auf deranderen Spule wieder aufzurollen. Die Schwierigkeit besteht darin, daß das Band nicht direkt von einer Spulezur anderen verläuft, sondern nur vermittelt über eine dritte Spule. Die dritte Spule – der man unschwer die Bedeutung der Zeit geben mag (die von alters her als Spule vorgestellt und metaphorisiert wurde)– synchronisiert beide Bewegungen untereinander. Die Zeit wird exakt in dem Sinne zum Medium, wie sichdie beiden Partner nur über die Vermittlung dieser Instanz, dem zeitlichen Medium der Spule, miteinander verständigen.Der Clou der Arbeit Koganezawas besteht jedoch darin, daß diese – durchaus komische – Handlung des gelangweilten Auf- und Abrollens, die bereits durch das Medium der Spule synchronisiert wird, ein zweitesMal synchronisiert wird. Das zweite Mal wird die bereits zeitlich verfaßte Situation – wie um die zeitlicheMetaphorik der Spule zu unterstreichen und zu übermalen: um sie zu dubben – durch das Medium der Zeit synchronisiert. Jedes Auf- und Abrollen, so lang es auch dauert, wird im Videobild auf eine Minute gestrafftoder gedehnt. Damit treffen erneut zwei Zeiten aufeinander: die reale Zeit der Handlung, der Verlauf des Auf-und Abwickelns, und die von außen auferlegte Zeit, die "artificial time" des Videoclips, wie sie Koganezawanennt. Die auf die Weisung von Koganezawa ausgeführten Bewegungen – der Personen oder der Farbe –ordnen sich nach dem Takt der Zeit und nicht umgekehrt. Sie ist es, die – wie in der "transzendentalen Ästhetik" Kants – den Personen oder der Farbe Subjektstatus verleiht und ihren Verlauf regelt.Glücklicher Verlauf.

 

Knut Ebeling, in Continental Shift, Ludwigforum Aachen, 2000