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Noemi Smolik - Anläßlich der Videoprojektion in der Kunststation St. Peter, Mai 2001


 

Meine Damen und Herren, endlich, werden die einen sagen, zeigt auch die Kunststation St. Peter Videos - gehört doch das von einem Künstler produzierte Video bereits seit längerem der zeitgenössischen Kunst an. Furchtbar, werden die anderen sagen, jetzt kommt auch noch die Kirche mit den Videos, mit diesem elektronischen Mist zum Ablenkung und zeigt sie in ihren geheiligten Räumen. Tatsächlich ist es zum ersten Mal, daß im St. Peter eine Videoinstallation gezeigt wird. Aber ist das, war eine Videoprojektion, zumal die von dem jungen japanischen Künstler Takehito Koganezawa, dessen Projektionen wir hier heute abend zeigen - also ist das, was eine Videoprojektion bietet - oder bieten kann - wirklich so weit davon entfernt, was sich sonst in dieser Kirche in Form einer Liturgie, oder eines Gottesdienstes abspielt?

 

Die Projektionen von Koganezawa - insgesamt drei - zeigen eine Handlung. Und zwar eine Handlung, die immer wieder und wieder und noch einmal und noch einmal wiederholt wird. Alle drei Videos dauern jedesmal genau 8 Minuten. In dem ältesten, 1999 noch in Japan, in Tokio, wo Koganezawa geboren ist und wo er auch an einer Kunsthochschule Film, Regie, überhaupt den Umgang mit elektronischen Medien studierte, in diesem ältesten noch in Tokio aufgenommenen Video, taucht immer ein Paar auf - es sind seine Freunde, Verwandte, sogar seine Eltern machen mit - schreitet durch einen weißen Raum, stellt sich hinter zwei große, ebenfalls weiße Kabeltrommeln, auf denen weißes Kabel aufgerollt ist und beginnt zu drehen. Das Kabel wird von rechts nach links gespult, dann kommt ein neues Paar, das Kabel wird wieder zurück, also von links nach rechts gespult, dann wieder ein Paar, wieder wird gespult, diesmal von rechts nach links, wieder ein Paar, das Kabel wird von links nach rechts gespult - insgesamt tauschen sich bei diesem an sich sinnlosen Unterfangen 8 Paare aus - kommen, stellen sich hinter die Trommel, knien, drehen, stehen auf, verlassen den Raum ....einige sind ganz schnell, geschickt, andere langsamer, andere ungeschickt, das Kabel verheddert sich und es dauert bis es von der einen Trommel auf die andere überspult wird.

 

In der ganz großen Videoprojektion in der Mitte der Kirche, die noch in Tokio in einem Industriegebiet aufgenommen war, aber in Berlin, wo Koganezawa als Stipendiat der japanischen Regierung inzwischen lebt, erst verarbeitet wurde, läuft ein in ein rotes Kleid gekleidetes Mädchen mit hochhackigen Schuhen - die zum Laufen nicht gerade geeignet sind – nach vorne, dann wieder zurück, nach vorne, zurück, gerät außer Atem, nach vorne, zurück... es läuft die ganze Zeit von einem Lastwagen verfolgt - nach vorne, zurück, der Lastwagen fährt hinter her, der Lastwagen fährt vor und das Mädchen läuft, läuft und läuft. In seiner neuesten Arbeit, die hier, in St. Peter, auf der Rückwand der Kirche zu sehen ist und, die in der Berliner Galerie Wohnmaschine aufgenommen wurde, betreten Menschen einen mit verschiedenen Gegenständen vollgestopften Raum, bringen noch weitere Gegenstände hinein, stellen sie ab, tauschen sie untereinander aus, bringen sie wieder weg, drehen Runden im Raum, bringen die Gegenstände hinaus, kommen wieder zurück, gehen hinaus, bis der Raum am Ende des Films ganz leer ist - nur bewegen sich die Menschen irgendwie komisch.

Alle drei Videoprojektionen zeigen Handlungen, sie bringen Handlungen in diesen kirchlichen Raum hinein, dadurch stellen sie eine reale Gegenwart dieser Handlungen her, denn die an die Wand projizierten Handlungen sind nicht nur Abbilder von Handlungen, sie sind gleichzeitig die Handlungen selbst . Realer wäre nur eine wirkliche Performance, denn was ist eine Performance, wenn nicht eine Handlung in realer Gegenwart? Aber ist die Liturgie, der Gottesdienst, die sonst in diesem Raum stattfindet, nicht auch eine Performance? Eine Performance, die aus dem uralten Bedürfnis des Menschen entstanden war, sich - im Sinne des Alten wie des neuen Testaments - vor Gott ein Ereignis der Vergangenheit so in Erinnerung zu rufen, oder zu vergegenwärtigen, daß es hier und jetzt wirksam wird?

 

Durch eine rituelle Wiederholung einer und derselben Handlung wird während des Gottesdienstes einem Ereignis eine reale Gegenwart verliehen. Ein fester Bestandteil dieser rituellen Handlung war ursprünglich die Ikone, das heilige Bildnis als Stütze der Erinnerung, aus der sich später die gesamte europäische Kunst entwickelte. Also um Wiederholung, um einem Ereignis seine reale Gegenwart wieder zu verleihen, geht es in der Liturgie und während des Gottesdienstes, der hier in diesen Räumen sonst stattfindet. Ist Wiederholung einer und derselben Handlung nicht auch das zentrale Thema der Videoprojektionen von Takehito Koganezawa?

 

Koganazawa arbeitet mit Video, mit einem Medium also, das über die Fähigkeit verfügt, sich über die bis vor kurzem für absolut gehaltenen Kategorien von Zeit und Raum und die Gesetze von Kontinuität und Kausalität hinwegzusetzen um eine andere reale Gegenwart zu betreten. Kaganazawas Videos setzen sich auch tatsächlich über diese Kategorien und Gesetze hinweg. In der ältesten Videoprojektion, der mit den Kabeltrommeln, dauert das Umspulen des Kabels jedesmal genau eine Minute. Egal wie lange das jeweilige Paar dafür braucht, ob eine längere oder eine kürzere Zeitspanne, Koganezawa schrumpft oder dehnt die Zeitspanne mit Hilfe des Computers jedesmal genau auf eine Minute. "One Minute" heißt auch diese Arbeit.

 

In der großen Projektion stimmt nach den Kategorien unserer real gelebten Welt - aber welche Welt ist heute noch die reale? - gar nichts mehr. Das Mädchen ist kein Mädchen sondern ein, eigentlich zwei, mit einem roten Kleid und einer Perücke bekleidete Männer - und das im Altarraum einer Kirche! - Auch laufen sie in Wirklichkeit - also in unserer alten Welt, in der es noch Kategorien von Zeit und Raum und die Gesetze von Kausalität gibt - nicht nach vorne, wenn sie im Film nach vorne laufen, sondern zurück und wenn sie im Film zurücklaufen, dann laufen sie nach vorne - Koganezawa läßt ganz einfach den Film rückwärts laufen. "New man" ist der Titel dieser Arbeit. Auch in der dritten Projektion läßt Koganazawa den Film rückwärts laufen. Der Anfang ist das Ende, das Ende ist der Anfang - am Anfang war ein leerer Raum, der mit Gegenständen nach und nach vollgestopft wird - allerdings laufen die Menschen, die im Film nach vorne laufen, in Wirklichkeit - in dieser Welt der festen Kategorien und Gesetze -rückwärts. Daher sehen die Bewegungen so komisch. Kaganezawa nennt diese Arbeit "8 Minutes in the Backroom".

 

Meine Damen und Herren, Videoprojektionen in einer Kirche! Die einen finden es gut, einige vielleicht weniger gut. Und trotzdem sollten auch diese sich fragen, ob diese Projektionen, mit dem Geschehen, was hier in diesen Räumen sonst stattfindet - ich meine den Gottesdienst – nicht einiges gemeinsam haben? Ich habe von der Wiederholung als der Möglichkeit gesprochen, sich ein Ereignis zu vergegenwärtigen und so zu realer Gegenwart werden zu lassen. Doch es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit in den Videoprojektionen von Koganazawa mit den Handlungen des Gottesdienstes. Der Sinn der liturgischen Handlung, des Gottesdienstes liegt doch seit uralten Zeiten auch darin, durch die Herstellung einer anderen Gegenwart sich über die Kategorien der Zeit und des Raum und die Gesetze der Kausalität wenigstens für kurze Augenblicke zu erheben. Um diese andere Gegenwart zu erleben, ging man früher in die Kirche - heute kann diese andere Gegenwart – wie Koganezawa zeigt - auch eine Videoprojektion bieten. Oder vielleicht doch nicht ?